Gruppendenken kann ein Risiko für dein Projekt sein

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Gruppendenken doch eigentlich etwas gutes ist. Hört sich ja auch ein bisschen nach Teamgeist an. In Wahrheit verbirgt sich hinter dem Begriff aber ein gruppendynamischer Prozess, bei dem am Ende Entscheidungen oder Schätzungen stehen können, die die Realität nicht widerspiegeln. Und das auch dann, wenn die an der Entscheidung beteiligten Personen kompetent in ihrem Fachbereich sind.


Ein Beispiel

Ihr steht am Anfang eines Projekts oder eines Sprints und wollt gemeinsam den Aufwand für eure Arbeitspakete schätzen. Am Ende des Meetings steht hinter jedem Arbeitspaket ein Aufwand auf dessen Basis der Gesamtaufwand für das Projekt oder den Sprint ermittelt wird.

Bei der Nachbetrachtung im Anschluss an das Projekt, stellt sich jedoch heraus, dass systematisch ein großer Teil der Arbeitspakete falsch eingeschätzt wurden. In der Regel wird der Aufwand als zu niedrig eingeschätzt. Der Grund hierfür kann im Gruppendenken liegen.


Warum ist das so?


Der entscheidende Faktor ist, dass Menschen in Gruppen dazu tendieren harmonische Entscheidungen zu treffen. Sie orientieren sich in ihren Ansichten an den Einschätzungen der anderen Gruppenmitglieder und richten ihre eigenen Schätzungen an ihnen aus. Einzelpersonen passen sich damit der Gruppe an. Je „näher“ sich die Teammitglieder sind, je mehr Druck die Gruppe von außen ausgesetzt ist und je weniger Prozesse und Regeln innerhalb der Gruppe existieren, desto eher wird das Gruppendenken die Ergebnisse beeinflussen.

Ein wichtiger Faktor ist auch, dass sich weniger erfahrene Teammitglieder an den erfahrenen orientieren. Wenn diese dann, aufgrund ihrer Erfahrung, einen niedrigen Schätzwert äußern, werden sie sich dieser Schätzung anschließen, sogar dann wenn sie, alleine befragt, eine völlig andere Schätzung abgeben würden. 


Woran kann man Gruppendenken erkennen?

Es gibt keine eindeutigen Symptome. Aber es gibt einige Merkmale anhand derer Gruppendenken festgemacht werden kann. Dazu gehören:

  • eine übertrieben optimistische oder pessimistische Einstellung der Gruppe gegenüber dem Arbeitsauftrag

  • intensive, beschönigende Rechtfertigung schlechter Entscheidungen und Schätzungen in der Vergangenheit

  • zu großer innerer Druck eine gemeinsame Entscheidung treffen zu müssen und dabei „extremere“ Ansichten nicht zu berücksichtigen

  • zu großer wirtschaftlicher Druck möglichst geringe Aufwandsschätzungen abzugeben

  • auch starker, innerer Gruppenzusammenhalt kann Gruppendenken befördern, indem „extreme” Ansichten nivelliert werden

  • Ideen und Vorstellungen, die den Einstellungen der Gruppe widersprechen werden unterdrückt oder abgewertet

In der Folge kommt es zu einem Prozess, der eine objektive Entscheidungsfindung behindert. Entscheidungen und Schätzungen werden dann häufig zugunsten des risikoreicheren Wertes verschoben (Risky-shift). Entscheidungen in Gruppen sind häufig risikoaffiner als Entscheidungen von Einzelpersonen. Das Risiko einer Entscheidung ist hier nämlich nicht auf eine Einzelperson zurückzuführen sondern wird auf die Gruppe verteilt.

Gruppen oder Teams haben jedoch bei Schätzungen von Arbeitspaketen in Projekten, aber auch in Linien-Teams, einen entscheidenen Vorteil: Wegen des breiteren Erfahrungsschatzes einer Gruppe kommen sie, unter den richtigen Voraussetzungen, zu besseren Ergebnissen als Einzelpersonen - insbesondere in komplexen Projekten die eine breite Vielfalt an Kenntnissen erfordern. Darüber hinaus stärken derartige Entscheidungsprozesse den Selbstwert und die Arbeitsorganisation ihrer Mitglieder.

Was kann getan werden um Gruppendenken vorzubeugen?

Vorab: Es gibt kein Patentrezept um Gruppendenken vorzubeugen. Letztlich wird es in jeder Gruppenentscheidung Fehler geben, die auf gruppendynamische Prozesse zurückzuführen sind. Aber es gibt Stellschrauben, mit denen die Fehler minimiert werden können.

  • es sollten klare, allen Mitgliedern der Gruppe bekannte Regeln zur Entscheidungsfindung vereinbart werden, die die Ansichten aller Gruppenmitglieder berücksichtigen

  • es kann hilfreich sein, einem Gruppenmitglied die Rolle des „Advocatus Diaboli“ zuzuweisen. Ihre / Seine Aufgabe ist, allzu optimistische oder pessimistische Schätzungen kritisch zu hinterfragen. Diese Rolle kann auch der PM / PO oder Teamleiter übernehmen

  • Feedbackschleifen einbauen. In kurzen Intervallen (z.B. Projekt- / Sprint Retros) die Schätzungen der Arbeitspakete mit der Realität abgleichen. Dabei ist wichtig dass das Team nicht die Schätzung rechtfertigt sondern prüft was den Unterschied zwischen Schätzung und Ausführung verursacht hat

  • die Nutzung von (agilen) Schätzmethoden (z.B. Planning Poker oder der Delphi-Methode) um den individuellen Einfluss auf die Schätzung zu minimieren (*)

  • Minimierung von Prozessverlusten durch offenes Teilen von Informationen im Team

(*) Vorsicht: auch hier können Gruppendenkprozesse ablaufen. Daher empfehle ich diese Methoden nur zusammen mit einem Advocatus Diaboli um hier wirklich zu mehr Verlässlichkeit zu kommen!

Zum Abschluss

Gruppendenken ist nicht auf Teams beschränkt. Auch ganze Organisationen können in ihrer Art Entscheidungen zu treffen diesem gruppendynamischen Prozess unterliegen. Die Ursprünge der dahinterliegenden Theorie sind im Zusammenhang mit der Untersuchung von Entscheidungsprozessen im Korea-Krieg oder dem Vietnamkrieg entstanden. 

Gruppendenken ist nicht nur in der Schätzung von Projekten ein Thema das berücksichtigt werden sollte. Auch in Linien-Teams, die Entscheidungen gemeinsam treffen sollen, laufen derartige Prozesse ab.

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